Die Begrenzungsinitiative - Wohin will die Schweiz?
Die Abstimmung der Begrenzungsinitiative bzw. Kündigungsinitiative am 27. September 2020 wird aus meiner Sicht für die Schweiz und ihren Stand in Europa wegweisend sein. Dieser Umstand und das Umfrageergebnis unter meinen Abonnenten hat mich dann dazu bestärkt ein Video über die Begrenzungsinitiative zu machen. Mir persönlich liegt die Schweiz sehr am Herzen und ich lebe sehr gern hier. Den Schweizer Sonderweg in Europa halte ich für eine super Sache und fände es dramatisch diesen aufs Spiel zu setzen.
Im Folgenden findet ihr den Inhalt des Videos auch in Textform. Unterhaltsamer und Bildreicher ist natürlich das Video.
Bisher habt ihr bei mir auf dem Kanal eher unterhaltsame Videos über die Schweiz gesehen, dieses Mal möchte ich mich einem ernsten Thema widmen. Die Abstimmung zur Begrenzungsinitiative am 27. September ist die wichtigste Volksabstimmung des Jahres und wird aus meiner Sicht für die Schweiz und ihren Stand in Europa wegweisend sein. Im folgenden Video erfahrt ihr die Vorgeschichte der Begrenzungsinitiative, was die Initiative genau verlangt, welche Probleme sich daraus ergeben, wie meine Gedanken dazu sind und wie die Prognosen aussehen. Mir ist bewusst, dass das Video sehr subjektiv ist, wahrscheinlich polarisieren wird und nicht alle meine Meinung dazu teilen. Das ist auch absolut in Ordnung. Ich bitte aber darauf zu achten, dass ihr in den Kommentaren fair und respektvoll zueinander seid.
Vorgeschichte und Inhalt der Initiative
Nachdem der ursprüngliche Abstimmungstermin vom 17. Mai 2020 coronabedingt abgesagt worden ist, entscheidet nun die Schweiz am 27. September 2020 über Ihre Zukunft und ihren Stand in Europa. Was genau verlangt aber diese Initiative und wie ist es dazu gekommen? Nachdem die geforderten 100'000 Unterschriften gesammelt worden sind, wurde die Volksinitiative am 31. August 2018 von der SVP und der Organisation "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" in Bern eingereicht. Diese Initiative ist eine direkte Folge der Masseneinwanderungsinitiative von 2014, die ebenfalls von der SVP lanciert wurde. Diese Volksinitiative, kurz MEI genannt, wurde damals trotz anderslautenden Prognosen, sehr knapp mit 50.3% angenommen. Die Masseneinwanderungsinitiative hatte aber ein massgebliches Problem. Sie konnte nicht umgesetzt werden ohne gegen geltendes Recht zu verstossen. Die von der Initiative geforderten Kontingente waren nicht mit der EU vertraglich geregelten Personenfreizügigkeit vereinbar, dass die EU sich auf Nachverhandlung nicht einlässt war bereits vorher absehbar. Die Schweizer Regierung hat sich aus diesem Grunde dazu entschlossen die Initiative in einer stark abgeschwächten Variante umzusetzen und dafür ein Problem anzugehen, dass die Bevölkerung im Zusammenhang mit der Zuwanderung beschäftigt. Seit dem 1. Juni 2018 gilt daher die Stellenmeldepflicht in der Schweiz, umgangssprachlich auch Inländervorrang light genannt. Den Link dazu packe ich euch in die Videobeschreibung. Dass die Befürworter der Masseneinwanderungsinitiative von der schlussendlichen Umsetzung der Initiative nicht begeistert sind, ist ebenso absehbar gewesen und auch verständlich. Für mich ist aber bis heute unverständlich, warum die Initianten eine Initiative lanciert haben, die so nie umgesetzt werden konnte und sich dann im Nachgang darüber beschweren. Als Reaktion auf die Umsetzung wurde daher die neue Volksinitiative "Für eine massvolle Zuwanderung", kurz Begrenzungsinitiative genannt, lanciert. Diese fordert nun die Personenfreizügigkeit wieder selbst in die Hand zu nehmen, mit der EU neu zu verhandeln und wenn dies nicht innerhalb von 12 Monaten gelingt zu kündigen. Zusätzlich verbietet die Initiative zukünftig völkerrechtliche Verträge einzugehen, welche eine Personenfreizügigkeit gewähren.
Welche Probleme ergeben sich bei der Annahme der Initiative?
Dass die EU bei der Personenfreizügigkeit nicht nachverhandeln wird, halte ich wie bereits 2014 für ausgeschlossen, da diese zu den Grundprinzipien der Europäischen Union gehört. Die Kündigung der Personenfreizügigkeit wäre daher, laut Initiativtext, die Konsequenz. Was die Initianten gern verschweigen, die Personenfreizügigkeit allein lässt sich nicht kündigen, sondern nur im Paket mit allen anderen Verträgen aus dem Paket "Bilaterale I". Welche nach der Volksabstimmung im Jahr 2000 von der Schweizer Bevölkerung mit einer zweidrittel Mehrheit angenommen wurden. Die Bilateralen I bestehen aus 7 einzelnen Abkommen und enthalten vor allem Regeln zum Bereich Wirtschaft, Landwirtschaft, Verkehr, Forschung und Zugang zum Europäischen Binnenmarkt. Diese Verträge ermöglichen der Schweiz einen Sonderweg mit der EU ohne ihre Unabhängigkeit komplett aufzugeben und dennoch vollen Zugang zum Wirtschaftsraum der EU zu bekommen. Daher wurden diese Verträge nur als Paket unterzeichnet. Wird einer gekündigt, werden alle anderen Verträge aus diesem Paket ebenfalls gekündigt. Insbesondere für Unternehmen, die Einnahmen über Exporte generieren oder von Zulieferungen aus der EU abhängig sind, könnte dies zu einem echten Problem werden. 60% des Handelsvolumens der Schweiz macht der Import und Export mit den EU-Staaten aus. Umgekehrt beträgt der Schweizer Anteil vom Handelsvolumen der EU nur etwas mehr als 6%. Mit diesem Vergleich möchte ich nur aufzeigen, wie wichtig die Handelsverträge aus den Bilateralen I für die Schweiz sind und wie schlecht dabei die Verhandlungsposition ist. Hinzu kommt der, ohne Personenfreizügigkeit, fehlende oder zumindest eingeschränkte Zugang zum Fachkräftemarkt der EU für Schweizer Unternehmen. Insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Informatik ist die Schweiz auf gute Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Im Falle einer Annahme der Initiative würde die, durch Corona, angeschlagene Schweizer Wirtschaft noch stärker belastet werden. Wie wichtig das Gesundheitssystem mit gut ausgebildetem Personal ist hat uns ebenfalls Corona gezeigt. Was ebenfalls gern von den Initianten verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass 2004 zusammen mit der Personenfreizügigkeit die Flankierenden Massnahmen eingeführt worden sind. Sie enthalten klare Regeln für Arbeit, die in der Schweiz geleistet wird. Die Flankierenden Massnahmen sichern somit das Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen von allen Arbeitnehmern. Lohndumping und Schwarzarbeit sind seit dem erwiesenermassen zurückgegangen. Ohne Flankierende Massnahmen würden die bereits gewonnenen Fortschritte auf dem Spiel stehen.
Meine persönlichen Gedanken dazu
All diese Punkte betreffen Wirtschaft und Wohlstand. Aber es ist nicht nur das. Die Personenfreizügigkeit gibt uns allen sehr viel Freiheit. Sei es beim Reisen, bei der Wahl des Arbeitsplatzes, des Wohnorts, des Studiums oder in der Partnerschaft. In der heutigen Zeit gibt es viele Grenzüberschreitende Partnerschaften, welche ohne Personenfreizügigkeit viel komplizierter werden. Aktuell genügt es innerhalb des Schengenraums einen Arbeitsplatz in der Gegend des Partners zu suchen und so leicht zu zusammen ziehen zu können ohne gleich heiraten zu müssen.
Dank der Bilateralen Verträge haben wir in der Schweiz einen gewissen Grad der Unabhängigkeit ohne uns zu isolieren und dennoch ein wichtiger Teil Europas zu sein. Für mich stand die Schweiz auch immer für eine grosse Innovationskraft, bei einer Isolierung und ohne Internationalen Austausch sehe ich diese in grosser Gefahr. Alle die mit Ja stimmen wollen, sollten sich genau überlegen ob sie eine Insellösung wirklich möchten. Im schlimmsten Fall könnte es sogar dazu führen, dass die Schweiz ihren Sonderweg aufgeben muss und auf Dauer EU-Mitglied wird. Dieses halte ich ebenfalls nicht für erstrebenswert.
Im EU-Raum leben eine halbe Million Auslandsschweizer. Ich finde diese Zahl der sehr beeindruckend und es zeigt mir persönlich auch, dass die Personenfreizügigkeit keine einseitige Sache ist. Bei einer Kündigung der Personenfreizügigkeit wäre der Aufenthaltsstatus vieler Auslandsschweizer nicht mehr geregelt und müsste ebenfalls neu verhandelt werden. Die Zahl der Einbürgerungen würde somit im Ausland, als auch in der Schweiz wahrscheinlich massiv zunehmen. Für viele Auswanderer wäre dies die einzige Massnahme die sie ergreifen können um ihren Status aufrecht zu erhalten. Ist das die richtige Motivation für den Erhalt einer Staatsbürgerschaft?
Die Prognosen und Schlusswort
Jetzt fragt ihr euch sicher, wie die aktuellen Prognosen für diese Initiative aussehen. Anfang Juni zeigte eine repräsentative Umfrage von Gfs Bern, dass 29 Prozent der Befragten für Ja stimmen und 69 Prozent der Befragten mit Nein stimmen wollen. Nur 2 Prozent sind bei dieser Umfrage unentschlossen gewesen. Die Meinungen scheinen also gemacht zu sein.
2014 waren die Prognosen ebenfalls sehr zuversichtlich und alle Zeichen standen auf Ablehnung der Initiative. Dennoch ist es anders gekommen. Damals war das Glück, dass der Wortlaut der Initiative nicht umsetzbar war. Dieses Mal wäre das anders. Ich bin fest der Meinung, dass ein Grossteil der Schweizer für die Personenfreizügigkeit und den Schweizer Sonderweg ist. Einzig allein der Wähleranteil wird darüber entscheiden wie das Ergebnis am 27. September aussehen wird. Daher fordere ich alle Schweizer und Auslandsschweizer dazu auf ihre Stimme bei dieser Wahl abzugeben. Ich zähle auf euch.
Quellen:
Die Masseneinwanderungsinitiative im Wortlaut:
https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis413t.html
Alle Infos zur Stellenmeldepflicht:
https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/menue/unternehmen/stellenmeldepflicht.html
Die Begrenzungsinitiative im Wortlaut:
https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis483t.html
Bilaterale I
https://www.eda.admin.ch/dea/de/home/europapolitik/ueberblick/bilaterale-1.html
Handelspartner der Schweiz
https://www.dfae.admin.ch/dam/dea/de/documents/faq/schweiz-eu-in-zahlen_de.pdf
Rückgang von Schwarzarbeit und Lohndumping
https://www.unia.ch/de/arbeitswelt/von-a-z/personenfreizuegigkeit-flam/zahlen-fakten
Umfrageergebnisse Begrenzungsinitiative
https://www.srf.ch/news/abstimmung-27-september-2020/begrenzungsinitiative/erste-grosse-umfrage-fehlstart-fuer-die-initiative-gegen-personenfreizuegigkeit
Immer mehr Briten lassen sich einbürgern
https://www.tagesspiegel.de/politik/verunsicherung-durch-brexit-immer-mehr-briten-beantragen-paesse-anderer-eu-laender/23832130.html