Ich halt die zahlen aus dem Artikel für realistisch. Die Schweiz ist finanziell gesehen nicht sehr familienfreundlich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man bei drei Kindern finanziell besser lebt als in Deutschland. Ich möchte aber gleich vorab sagen: Man wandert nicht nur des Geldes wegen aus. Wer das macht, der wird vermutlich ein unglückliches Leben haben. Aber natürlich: Geld ist immer ein Thema.
Grundsätzlich ist es ja ganz einfach: Man ist relativ stolz auf die niedrigen Steuern und hohen Gehälter. Das ist ja auch wirklich schön. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die geringen Steuern auch eine Schattenseite haben: Es gibt weniger Geld zum Verteilen. Wer also viele Kinder hat und nicht in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, so dass er KV-Prämienverbilligung oder Unterstützung bei der Kita bekommt (um nur zwei Beispiele zu nennen), der wird hier erheblich zur Kasse gebeten. Nun muss jeder für sich beurteilen, ob das für ihn gut oder schlecht ist. Pauschal kann man sagen: Für den gutverdienenden Single lohnt sich das, für den normalverdienenden Vater einer Grossfamilie bestimmt nicht. Und dazwischen gibt es viele Graustufen.
Ganz vernachlässigen sollte man bei Auswandern ohnehin nicht, dass man "eher teurer" lebt als die Einheimischen. Man weiss weniger gut Bescheid, greift oftmals auf teurere Angebote zurück (freiwillig oder unfreiwillig) und die Familie ist nicht so nah, dass sie "eben mal" unterstützen könnte. Dazu kommen dann die Heimfahrten zur Familie - bei meinen Eltern, die schon etwas älter sind, bin ich sehr froh, dass ich die Möglichkeit habe sie regelmässig zu besuchen. Aber natürlich kostet auch das - das nimmt man dann hin.
Zudem gehe ich bis heute davon aus, dass man sich bei jeder Auswanderung beweisen muss. Egal wohin man geht: Man muss zeigen, dass man "sein Geld" wert ist. Und das heisst in der Regel: Man startet zu etwas schlechteren Arbeitsbedingungen als die Schweizer und muss trotzdem mehr arbeiten. Das ist nicht Schweiz spezifisch, sondern diese Erfahrungen machen sehr viele in unterschiedlichen Ländern. Ich bin jetzt gerade in Polen und da ist es nicht anders: Gestern klagte mir ein Weissrusse (zu Recht) sein Leid, weil er für vergleichbare Arbeit trotz sehr guter Sprachkenntnisse erheblich weniger verdient als seine polnischen Kollegen. In der Regel normalisiert sich das natürlich über die Zeit, aber eine Auswanderung ist auch wirtschaftlich in der Regel kein Selbstläufer. Man bekommt nichts geschenkt und muss hart für den eigenen Erfolg arbeiten.
Dann wäre da noch das ledige Thema Altersvorsorge: Wenn ich mal davon ausgehe, dass du Jahrgang 78 bist: Stand heute ist das gesetzliche Renteneintrittsalter noch 20 Jahre von Dir entfernt, statistisch bist du mit 18 Jahren in Rente. Das ist weit weniger als die 45 Jahre, die du für eine volle Rente arbeiten müsstest. Da Deine Frau kein AHV-pflichtiges Einkommen habt, könnt ihr nicht in die dritte Säule einzahlen. Die wirst das können, aber nachzahlen funktioniert in der ersten und dritten Säule (bisher) nicht. In der zweiten Säule kannst du nach 5 Jahren steuerbegünstigt einzahlen. Aber das wird dann eine harte Nummer, weil du in rund 15 Jahren zumindest deine zweiten Säule auf das maximum aufblasen solltest, um mit 65 Jahren auch in der Schweiz bleiben zu können - ich rede hier von einem Leben ohne Ergänzungsleistungen und ähnliches. Diese Problematik haben viele Auswanderer einfach gar nicht auf dem Schirm. Mich betrifft diese Problematik ebenfalls - wenn auch etwas weniger intensiv, weil ich früher gekommen bin. Meine Frau war aber auch schon 33 Jahre bei ihrem Zuzug (ich 24).
Ich habe jetzt momentan ein absolutes Kontrastprogramm: Polen und Schweiz - viel weit auseinander kann ich mir die Mentalitäten gerade kaum vorstellen. In Polen haben die Leute wenig, aber es ist unglaublich warm und herzlich. Wenn man irgendwo zum Nachtessen eingeladen ist, ist das Gästezimmer in der Regel bereits vorbereitet, auch wenn die Chance minimal ist, dass man über Nacht bleibt. Wenn man zurück kommt (bspw. auf der Schweiz), umarmen einen die Nachbarn, weil sie froh sind, dass die Fahrt gut gelaufen ist und dass man heile wieder zurück ist. In der Schweiz vollkommen undenkbar: In Baar bekomme ich dann ein "Schön, wieder hier?" und in aller Regel war es das. Es ist nicht so, dass die Schweizer unfreundlich sind - das sind sie nicht. Aber sie sind distanzierter. Und das, obwohl ich wirklich bemüht bin bei allen Aktionen mitzuhelfen. Ich war bspw. dieses Jahr beim Weissen der Schutzräume dabei und habe auch beim Umbau des Spielplatzes mitgeholfen. Das rechnen mir die Einheimischen Baarer auch gross an und es gibt Einladungen zum Znacht oder ähnliches. Aber dieses extrem warme wird es in der Schweiz so nicht geben.
Bei mir ist das Pendeln durch die zwei Wohnsitze momentan extrem zu intensiv. Das werde ich nicht lange durchhalten und auch nicht durchhalten wollen. Aber das ist ein anderes Thema und richtet sich eher an diejenigen, die über viele Jahre den internationalen Wochenaufenthalt planen. Ich verdiene viel Geld (für meine Verhältnisse), aber ich zahle das mit meiner Freizeit, weil ich fast jedes Wochenende im Auto, Zug oder Flugzeug verbringe. Dazu bin ich nicht mein Leben lang bereit. Dazu kommt, dass man auch teuer lebt: Zwei Wohnsitze wollen finanziert und unterhalten werden und weil man weniger Zeit hat, kauft man viele Leistungen ein - vom Restaurant bis zur Reinigungshilfe. Ganz einfach, weil man es selber zeitlich nicht mehr schafft.