Liebe Anja
Auch wenn wir in vielen Punkten nicht einer Meinung sind, so habe ich doch grundsätzlich eine gewisse Bewunderung für Personen, die nicht mit dem Strom schwimmen und für Ihre Meinung einstehen. Einfacher ist erstmal das Mitschwimmen - keine Frage. Viele verbiegen sich, um der Masse zu folgen. Meine "Gegen den Strom Schwimmer" - insbesondere wurde das natürlich in der Corona Zeit deutlich - sind auch nicht immer einfach zu managen. Das wirklich problematische sind aber immer die Spannungen zwischen den verschiedenen Personen. Da musste ich mir Dinge anhören: Ich könnte Bücher schreiben.
Wie dem auch sei: Wenn du selber aktiv entscheidest für Deine Meinung einzustehen, dann musst du eben auch damit Leben, dass es mal Gegenwind gibt. Und ab 50 MA kannst du ja eine Arbeitnehmervertretung gründen (der AG kann das nicht für Dich übernehmen). Das gilt natürlich nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten. Ich kann Dir versichern, dass ich als kleiner Arbeitgeber vermutlich viel viel gelassener reagiere als viele meiner Angestellten, wenn ich mal Contra bekomme (ist gestern gerade zweimal passiert). Wenn die wütend sind, dann lassen sie das sehr sehr schnell raus - oftmals ungefiltert. Früher war ich da regelrecht schockiert - heute geht mein Puls vermutlich nicht mehr über 70. Vielmehr warte ich erstmal zwei Tage ab, versuche etwas Ruhe reinzubringen und dann nach den zwei Tagen setze ich mich mit den Leuten zusammen, um eine Lösung zu finden. In vielen Fällen ist den beteiligten dann gar nicht mehr bewusst was jetzt gerade so schlimm war. Als Arbeitgeber entwickelt man da eine gewisse Routine zur Deeskalation und diese Routine kommt leider (!) durch die Regelmässigkeit etwaiger Konflikte zu Stande, die oftmals für sich genommen nicht wirklich tragisch zu klären wären.
Bei den gravierenden Problemen ging es gestern um "Arbeitshosen" und die "Überstundenabbau aus dem Vorjahr" (letzteres ist so ziemlich jedes Jahr ein grosses Thema). Alles immer Kleinigkeiten, aber für die Mitarbeiter dann häufig die Spitze des Eisbergs und dann kommt die Explosion, wenn ich in der Nähe bin.
Ich finde es vollkommen okay, wenn man Arbeitnehmer oder Arbeitgeber bewertet. Das sollte natürlich beidseitig fair sein und auch eine gewisse Objektivität aufweisen. Auch sollte man in gewissen Grenzen darauf hinweisen dürfen was nicht gut gelaufen ist - dieses "nur positiv" bringt uns ja alle nicht weiter. Aber bei Dir wirkt es eben oft wie ein "Nachtreten" - und damit möchte ich Dich nicht ärgern. Und man kann eben in der Sache auch hart und bestimmt auftreten ohne immer wieder die Unzufriedenheit raus zu lassen.